Scheiße ist Mathematik
von thalasso wave, Erstveröffentlichung 2014

Ich werde immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass der Titel genau falsch herum sei. Das kann ich gut verstehen. Menschen, die in den besten Jahren ihres Lebens mit Formeln und Zahlenwerk gequält wurden, haben am Ende ihrer Schulzeit ein gestörtes Verhältnis zu dieser grundlegenden Wissenschaft entwickelt. Vergebene Jahre, in denen immer versprochen wurde, dass man das alles später noch einmal gut brauchen könnte. Leider wurde nie erwähnt, wozu. So wurden viele zu Freunden der Angewandten Mathematik, vor allem wenn sie von jemand anders angewandt wurde. Diesen Vertrauensverlust wollen wir heute einmal korrigieren. Fangen wir mit einfachem Kopfrechnen an.

Um den Bezug zum Titel herzustellen, wollen wir einmal der Frage nachgehen, warum oft zu wenig Toilettenpapier da ist. Während in Privathaushalten Toilettenpapier sogar feucht und in verschiedenen Geschmacksrichtungen vorhanden ist, macht es sich auf öffentlichen Toiletten und in der Gastronomie recht rar. Das muss eine Frage der Kosten sein, denn sonst würde in Kneipen und Restaurants nicht so ein großer Aufwand getrieben, diesen begehrten Hygieneartikel knapp zu halten.

Bei sich zuhause löst man das Problem meist auf sehr einfache Weise: man kauft eine Großpackung Toilettenpapier und nimmt sich einfach eine neue Rolle wenn die alte zu Ende geht. Diese Vorgehensweise scheint in Schankräumen und Fresstempeln entweder zu einfach oder zu teuer zu sein. Statt an einer gut erreichbaren Stelle in den Toiletten einen Stapel der benötigten Rollen anzulegen, wird der Gast zur Nutzung von immer absurderen Papierspendern genötigt, denen allen gemein ist, dass sie möglichst wenig oder besser noch gar kein Papier spenden.

Zum Beispiel diese Toilettenpapierhalter, die mit einer kunstvollen Mechanik eine einzige weitere Rolle freigeben, aber nur wenn die erste vollständig aufgebraucht wurde. Oder diese Riesenrollenhalter, in denen man immer herumfummeln muss, um das nächste Blatt zu finden. Prinzipiell die richtige Idee: wenn die Rolle größer ist, muss man sie nicht so oft wechseln. In der Praxis: ein Haufen Scheiße. Die Riesenrollenhalter haben unten eine Abrisskante, die Rollen sind aber oft perforiert. Zieht man ein Blatt heraus und will es abreißen, reißt das Papier eben nicht an der Abrisskante, sondern an der Perforation irgendwo im Inneren des Halters. Beim Herausfummeln des nächsten Blattes reißt man sich an der Abrisskante die Handgelenke auf. Wer denkt sich so was aus? Unterernährte Ingenieure, die schon seit mehreren Jahren unter Verstopfung leiden?

Über kurz oder lang hängt neben dem komplizierten Papierspender wieder ein normaler Toilettenpapierhalter. Spätestens wenn die Herstellerfirma dieser kranken Konstruktionen in Konkurs gegangen ist und Nachschub ausbleibt. Oder jemand den Schlüssel verloren hat, den man zum Nachfüllen braucht. Ja, richtig! Wir schließen unser Toilettenpapier ab. Es könnte ja geklaut werden!

Oft ist eher das Gegenteil der Fall. Ich habe zum Beispiel gerne mein eigenes Toilettenpapier dabei, vor allem wenn ich Essen gehe oder mit der Bahn fahre. Man weiß ja nie, was man vorfindet und beugt vor. Und ich weiß, ich bin damit nicht allein. Viele Leidensgenossen denken und handeln genauso wie ich. Wenn Sie sich mal so umsehen, könnten Sie auf den Gedanken kommen, die Deutschen werden immer dicker. Das täuscht. Vielmehr tragen die Deutschen beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen gerne weite Kleidung - unter der sie das mitgebrachte Toilettenpapier besser verstecken können. Handtaschen sind oft zu klein, um eine ganze Rolle aufzunehmen und wer nimmt schon seinen Kulturbeutel mit ins Konzert? Jetzt wissen Sie aber wenigstens mal, wo der Name herkommt.

Diese tapfere und vorausschauende Vorgehensweise birgt aber ein großes Risiko in sich. Stellen Sie sich vor, Sie kommen in Ihrem Stammlokal von der Toilette und aus Ihrer Kleidung fällt eine Rolle Toilettenpapier! Das glaubt Ihnen doch kein Mensch! Der Wirt wird nur in seiner sparsamen, traumatischen Hygienepapierdiebstahlphobie bestätigt. Die Folgen sind klar: Lokalverbot, gesellschaftliche Ächtung, Verlust der sozialen Kontakte, Vereinsamung, Eintritt in die FDP.

Doch was kostet Toilettenpapier? Wie hoch wäre der tatsächliche Schaden im Falle des ständig befürchteten schweren Hygienepapierraubes? Das ist die Stelle, auf die die Freunde der Angewandten Mathematik schon sehnsüchtig gewartet haben. Eine Rolle Toilettenpapier mit 200 Blatt kostet etwa 25 Cent. Riesenrollen und andere Papierformate haben mehr Blätter und einen entsprechend höheren, aber vergleichbaren Preis. Grob geschätzt braucht ein Gast etwa 15 Blätter und belastet dadurch den Gastronomen mit der astronomischen Summe von 2 Cent.

Dafür lohnt es sich wirklich das Toilettenpapier zu rationieren. Ich würde Bezugsscheine ausgeben. Oder einen Papierzuschlag von 2 Cent auf sämtliche Preise ausweisen. Oder Gästen, die nachweislich die Waschräume nicht aufsuchen oder ihr eigenes Toilettenpapier mitbringen, einen entsprechenden Rabatt einräumen. Muss man sich mal vorstellen: bei jedem Besuch in der Pinte 2 Cent sparen. Das wären bei täglicher Frequenz 14 Cent in der Woche, 60 Cent im Monat, 7 Euro 30 im Jahr oder mehr als 500 Euro von der Wiege bis zur Bahre!

Angesichts dieser Kostenexplosion im gastronomischen Sanitärbereich muss ich über leere Papierhandtuchspender, klemmende Handtuchrollen oder nasse, klebrige Handtücher wohl kein Wort mehr verlieren. Mehr ist einfach bei diesen Preisen nicht drin!

Wäre da nicht die Umwelt. Um Papier und Wasser zu sparen, investieren Gastronomie und Veranstalter viel Geld in die Elektrifizierung von sanitären Anlagen. Besonders beeindruckend finde ich diese rotierenden Klobrillen, die durch Drehen gereinigt und desinfiziert werden. Da können Kinder mit ihren Spielzeugautos stundenlang drauf fahren, ohne selbst was machen zu müssen.

Besonders hygienisch sind auch die vollautomatischen, kontaktlosen Wasserhähne und Handtuchspender. Da wird nichts mehr angefasst, gedreht, gezogen, gefummelt oder gezerrt. Man winkt einfach dem Gerät. Und winkt. Und winkt. Und winkt. Ich habe in meinem Leben noch nicht so vielen Menschen gewunken wie Papierhandtuchspendern. Nur Papier bekommt man keins. Aber mit der nächsten Generation der Geräte soll das besser werden. Die sollen wenigstens zurückwinken.

Aber zurück zur Mathematik. Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung lösen wir zum Schluss noch eines der letzten sanitären Rätsel der Menschheit: das Geheimnis des letzten Blattes. Sollten Sie in der seltenen, aber glücklichen Situation sein, auf der Toilette ausreichend Papier vorzufinden, wird es überall sein, nur nicht im dafür vorgesehenen Halter. Dort ist immer nur diese kleine, leere Papprolle, auf der sich einst 200 Blatt holzfreies Papier befunden haben.

Die Spurenlage ist klar. Ihr Vorgänger hat das letzte Blatt verbraucht und es nicht für nötig befunden, eine neue Rolle in den Toilettenpapierhalter zu stecken, auch für den unwahrscheinlichen Fall, dass diese direkt daneben lag. Während man sich dann selbst ums Nachfüllen kümmert, fragt man sich allerdings, wie es kommt, dass Vorgänger immer exakt so viele Blätter Toilettenpapier gebraucht haben, wie noch auf der Rolle waren. Man kann die Wahrscheinlichkeit dafür genau ausrechnen. Grob überschlagen kommt das eher selten vor. Die meisten Scheißer hätten deutlich mehr Blätter gebraucht, als noch auf der Rolle waren. Jetzt wissen Sie, warum uns manche Zeitgenossen so stinken.

Ohne Mathematik hätten Sie das nie erfahren!

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