Radio blinkt nicht!
von thalasso wave, aus Hoppelpoppel Selfkill

Als Autor muss man natürlich behaupten können, dass seine erste Liebe allein dem Buch gegolten hat. War aber nicht so. Wie alle Achtjährigen fand ich Bücher zwar ganz nett, aber als Unterhaltungsmedium viel zu anstrengend.

Mein Herz schlug nur fürs Radio. Von meinem ersten selbstgesparten Geld kaufte ich mir ein Universum-Transistorradio - mit immerhin 5 Transistoren. Das mickrige Gerät, welches sich mein älterer Bruder kurz zuvor zugelegt hatte, verfügte gerade mal über 4 dieser überaus wichtigen Bauteile. Ich war sehr stolz darauf, auch wenn ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was ein Transistor denn so darstellte. Was damals 5 Transistoren waren, sind heute 5 Megapixel oder 5 Gigabyte - Verkaufsargumente, die man nicht versteht, aber gerne verinnerlicht, um die Kaufentscheidung zu rechtfertigen.

Aber wen hätte ich fragen können? Meine Eltern ahnten von eben dieser Kaufentscheidung nichts und hätten sie auch kaum gebilligt. Reine Geldverschwendung, schließlich gab es doch schon ein Radio im Wohnzimmer, und das hatte sogar UKW in Stereo - zumindest nach einer Weile. Mein Vater hatte eigentlich nur ein Radio für die Küche kaufen wollen, kam aber mit der ersten Röhren-freien Stereoanlage von Braun zurück. Vom erstaunlichen Stereoeffekt war allerdings anfangs wenig zu hören, da das Geld nur für eine Box gereicht hatte.

Mein Radio war auch in Mono und verfügte nur über Mittelwelle, die aus dem winzigen Lautsprecher recht blechern daher kam. Ganz zu schweigen vom Klang des mitgelieferten Kopfhörers, der nur für ein Ohr gedacht war. Aber wenigstens passte die Farbe dieses Knopfs im Ohr hervorragend zum Zeitgeist: er hatte genau den Farbton der weißen Nachkriegsküchenkacheln, die durch jahrelangen Nikotinmissbrauch leicht ins Gelbliche spielten.

Aber es war mein Radio. Ich konnte Musik, Nachrichten, Dokumentationen, Kommentare und Hörspiele hören. Hörspiele - für Spätgeborenen - sind Hörbücher, die im Radio gesendet werden. Richtig, keine Pausen-Taste, kein Rückspulen, einfach am Gerät sitzen und zuhören bis es zu Ende ist.

Ich versteckte mein Radio vor meinen Eltern, benutze es auf dem Weg zur Schule, hörte nachts heimlich im Bett - bis ich die ausziehbare Antenne abknickte. Da man die geknickte Antenne nicht mehr einfahren konnte, ließ sich die Existenz des Radios nicht mehr verheimlichen. Die Reaktion war prompt. Das Gerät wurde konfisziert und mir wurde ein Stapel Bücher übereignet, der meinem Alter angemessen schien. Die Bandbreite reicht von "Pu, der Bär" bis "Tom Sawyer". Ich las alles schnell und bekam mein Radio zurück.

Doch bevor die Bücher das Radio verdrängen konnten, erschien im Wohnzimmer ein neuer Feind: ein Fernseher. Das Gehäuse war bunt und die Mattscheibe schwarz-weiß. Heute ist das umgekehrt.

Aber so recht überzeugen konnte das neue Gerät nicht. Verfilmungen guter Bücher liefen meist im Kino und kamen im Fernsehen nur selten an die Vorlagen heran. Und was man gerade als Buch gelesen hatte, wurde selten verfilmt. Besonders schmerzlich: Raumschiff Enterprise kam immer zeitgleich zur Sportschau - also gar nicht. Raumpatrouille Orion lief genau 5 Minuten lang, bis mein bis dahin durchaus interessierter Vater auf dem Kommandostand von Commander Cliff Allister McLane den gleichen Bleichstiftspitzer entdeckte, den er auch an seinem Zeichenbrett hatte. Mit dem Ausruf "Quatsch!" wurde auf das andere Programm gewechselt, also vom Weltraum in der ARD zum ZDF-Magazin mit Gerhard Löwenthal, mehr gab's nicht. Alle anderen interessanten Sendungen kamen zu spät oder waren für Jugendliche nicht geeignet.

Das Fernsehen wurde zwar langsam bunter und zu Olympischen Spielen oder Fußballweltmeisterschaften gab es auch schon mal ein neues Gerät, aber so richtig dem Radio den Rang ablaufen konnte die Glotze nicht. Zumal die Pop-Musik den Äther eroberte und Radioprogramme nun auch für jüngere Hörer gemacht wurden, zumindest bis Mitternacht. Danach lief auf allen öffentlichrechtlichen Sendern das Nachtprogramm der ARD, eine Ansammlung von Unerträglichkeiten aus dem Repertoire des deutschen Schlagers.

Doch die Wende für das Fernsehen sollte kommen, mit Privatsendern und Kabelanschluss. Das Angebot fand ich so überzeugend, dass ich mir im zarten Alter von 30 Jahren meinen ersten eigenen Fernseher kaufte. Da es im Kabelnetz anfangs noch genügend Platz gab, wurden einige ausländische Sender eingespielt. Wie sehr ich die Holländer um ihr Fernsehprogramm beneidete. Dort wurde das Programm von engagierten Interessensverbänden zusammengestellt und nicht wie bei uns von quotengeilen Programmdirektoren.

So sah ich zwei Jahre lange Spielfilme im Original und werbefrei, bis die niederländischen Sender von der heranwachsenden deutschen Konkurrenz aus dem Kabelnetz gedrängt wurden. Womit die Blütezeit des Kabelfernsehens schon beschrieben ist. Eine Weile konnte man noch Belgier und Franzosen sehen, aber dann war alles fest in deutscher Hand. Wie es um das Privatfernsehen stand, konnte man am allerbesten am neu gestarteten Sender "VOX" sehen. Mit hohem Niveau und Slogans wie "Täglich sterben tausende Gehirnzellen. Retten Sie den Rest" wollte der Sender ein anspruchsvolles Programm gestalten und fand keine dazu passenden Zuschauer. Es gab wohl nichts mehr zu retten.

Der traurige Rest ist bekannt. Nach ein paar Jahren zählte nur noch die Quote im Prekariats-Fernsehen (Unterschicht sagt man ja nicht mehr). TV wurde zur werbeträchtigen inhaltsfreien Endloswiederholung. Die Vielfalt der Sendeplätze fiel der Einfalt der Zuschauer zum Opfer. Wir bekamen das Fernsehen was wir offensichtlich verdienten. Zur Reform der Organspende wurde unlängst vorgeschlagen, dass ein Mensch genau dann tot ist, wenn bei ihm keine Gehirnaktivität mehr festzustellen sei. Glücklicherweise wurde diese Vorgehensweise verworfen, denn sonst hätte man ja mehrere Millionen "Deutschland sucht den Superstar"-Zuschauer per Gesetz für tot erklären müssen.

Nach der Wende machte dann noch die Schlager- und Volksmusikschwemme aus dem Osten den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten den Garaus. Wer einfach nur gute Spielfilme oder Serien sehen wollte, wurde währenddessen bei den Privaten zu Tode beworben. Keine Sekunde Sendezeit wurde verschwendet, in die man nicht noch Werbung hineinquetschen konnte. Und wenn das nicht mehr ging, wurde halt das Senderlogo animiert oder eine Laufschrift bewarb ein Gewinnspiel für Gehirnamputierte, den Klingelton zur Sendung oder gleich die nächste Sendung. Nur nicht abschalten oder gar wegzappen. Wozu auch? Auf allen Kanälen lief ja sowieso das gleiche, gerade populäre Format. Im Fernsehen gibt es vermutlich mehr Gerichtsmediziner als in der ganzen Republik.

Während die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, zerlegt es die Qualität immer zuerst. Undankbarerweise haben die unmündigen Fernsehzuschauer das auch wahrgenommen und irgendwann einfach nicht mehr jeden Mist gekuckt, egal wie viel Werbung dafür gemacht wurde. Die Folge: die Einschaltquoten, das Allerheiligste der Fernsehindustrie, gingen in den Keller (nicht um dort zu lachen). Da konnte man noch so viele Deppen in Containern halten, die Zuschauer kehrten dem Fernsehen mehr und mehr den Rücken.

Und endlich schlug die große Stunde des Radios - aber nicht sehr lange. Um aus der Krise des Fernsehens Kapital zu schlagen, machte das Radio fortan die gleichen Fehler. Statt Musik und Information gab es plötzlich alle paar Minuten nein, nicht etwa Werbung sondern Jingles, Comedy, Gewinnspiele, Reisen, Hinweise auf eigene Konzerte, Hörer, die ständig den Sender unbegründet über den grünen Klee lobten und Moderatoren, die versuchten, das Publikum bei der Stange zu halten, in dem man schon ansagte, welche Titel in der nächsten Stunde zu hören seien. Das war schlimmer als Werbung - die ist wenigstens abwechslungsreich! Plötzlich ging es auch beim Radio nur noch um Quote.

Der verzweifelte Hörer wurde mit immer gleichen akustischen Schnipseln vollgedröhnt, dass ihm das Hören verging - das Sehen war ja schon lange auf der Strecke geblieben. Aber Radio blinkt nicht. Radio unterhält und informiert. Tut es das nicht, lernt der Hörer auch im Radio das Zappen. Oder geht gleich ins Internet.

Und das Internet blinkt. Heller und schneller als Radio und Fernsehen es je konnten. Hier sind es Werbung, Banner, Popups und andere Formen der optischen und akustischen Umweltverschmutzung, die uns helfen sollen, uns zu Tode zu amüsieren. Wenn das nicht klappt, wird wenigstens der Konsum angeheizt.

Jetzt endlich schlägt die große Stunde des Buches. Bücher blinken nicht. Bücher liefern das was die anderen Medien in der sinnlosen Hatz nach Erfolg verlernt haben: Unterhaltung, Information und vor allem Emotion. Das Buch war nicht meine erste Liebe, aber es bleibt bestimmt meine letzte.

© 2011 www.simon-verlag.de

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